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Johannes-Geert Hagmann

„As objective as humanly possible“ – Wissenschaft, Widerspruch und Werturteil in der amerikanischen SDI-Debatte der 1980er Jahre

Die komplexen wechselseitigen Abhängigkeiten in den Beziehungen von Wissenschaft und Politik zur Zeit des Kalten Krieges gehören zu den wiederkehrenden Fragestellungen der zeithistorischen Forschung. Der Fokus vieler Arbeiten lag und liegt dabei weiterhin auf historischen Entwicklungen im nationalen Raum. Der Schwerpunkt des vorliegenden Vortrags zu einer einflussreichen Debatte in den USA ist darin keine Ausnahme. Es wird jedoch auch der Versuch unternommen, ihre Auswirkungen auf Positionen in der Wissenschaft der BRD zu beschreiben.

Im Zentrum der 1983 angekündigten Strategic Defense Initiative (SDI) der USA stand die Entwicklung von modernen Strahlenwaffen, die zur Abwehr von sowjetischen Raketenangriffen beitragen sollten. Das Programm rief in der Wissenschaft und in der Öffentlichkeit geteilte Reaktionen hervor. Auf der Suche nach einer Position gab die amerikanische Gesellschaft von Physikerinnen und Physikern, American Physical Society (APS), eine technologische Studie zu den Grundlagen von Strahlenwaffen in Auftrag. Erklärtes Ziel der Fachgesellschaft war es, dass ein Expertengremium „so objektiv wie menschlich möglich“ den Status der Forschung untersuchen möge. Der als wertfrei angelegte Report entfaltete eine starke politische Wirkung und katapultierte ihre Urheber im Jahr 1987 in das Zentrum einer aufgeladenen nationalen Debatte.

Die Fallstudie rekonstruiert die Genese und die Strategien zur wissenschaftlichen Aushandlung des Reports unter Nutzung des Archivs der APS sowie des Nachlasses des Nobelpreisträgers Nicolaas Bloembergen. Der Vortrag lotet erstens aus, wie abseits von technischen Fragen die Betonung von Konsens und (erklärter) Werturteilsfreiheit zum schärfsten Schwert in der Debatte wurde. Darüber hinaus fragt der Beitrag zweitens nach der transnationalen Wirkung der amerikanischen Studie auf die deutsche Physik-Community und dabei insbesondere nach der Rolle Bloembergens, der im Jahr 1987 mehrfach zur Studie in der BRD sprach.