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Karin Reichenbach

Gegen gefühlte Geschichte. (Wie) Mit Rechten über das Mittelalter reden?

Die anhaltende Konjunktur des Mittelalters in populärkulturellen Erlebniswelten bringt neben breiterem Interesse und größerer Partizipation an Geschichte insbesondere visualisierende und performative Geschichtspraktiken hervor. Ob auf Wikingermärkten und Reenactmentfestivals, bei Black Metal-Konzerten oder neuheidnischen Festen, oft wird eine glorreiche und heldenhafte pagane Vergangenheit zelebriert und frühgeschichtliche Gesellschaften als homogene „Völker“ imaginiert. Zwanglos an rechtsextremes Geschichtsbewusstsein anschließend, wird Geschichte hier nicht nur als ethnizistische Abstammungserzählung und retrotopischer Gesellschaftsentwurf vermeintlich ursprünglicher sozialer Ordnungen performt, sondern das „Einfühlen“ in die Vergangenheit der „Ahnen“ wird gegenüber reflektie-renderen Geschichtszugängen ins Feld geführt. Die Abstammungsgemeinschaft und eine immersiv reproduzierbare, sinnlich erlebbare Vergangenheit gelten dabei als Referenzen. Kann und sollte man diesen erfahrungsbetonten rechtsoffenen Geschichtsaneignungen mit wissenschaftlichen Gegenerzählungen widersprechen? Wenn Geschichtszugang, Geschichtsbild und politisch-rechtsextreme Funktion miteinander gekoppelt sind, lässt sich hier mit wissenschaftlichen Wissenspraktiken und Geschichtsauffassungen entgegenwirken, ohne in essentialistisch-realistische Wissenstheorien zurückzufallen und gegensätzliche Wahrheitspolitik zu betreiben?