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Heiko Stoff

Aktivistische Ungeduld. Wissensformen der Medizinkritik in den 1970er Jahren

1976 setzte sich der DDR-Medizinhistoriker Achim Thom mit der Debatte zur Psychiatriereform in der Bundesrepublik auseinander. Als "aktivistische Ungeduld" belegte er dabei jene „nur-soziologische Auffassung“, welche die medizinische Praxis auf Interessen der herrschenden Klasse im Kapitalismus zurückführte. Entsprechende Positionen wurden in den 1970er Jahren etwa in den Reihen zur Medizin-kritik des Argument-Verlages diskutiert.

In diesem Vortrag wird zwischen anthropologischen, ethischen und sozialen Wissensformen der Medizinkritik unterschieden. Dabei trafen diese in den Heften des Argument-Verlages diese durchaus aufeinander. Der Sozialmediziner Marno Braunsdorf, den Thom als einen der aktivistischen Radikalen identifiziert hatte, kündigte 1970 an, dass er jene Medizinanthropologie „entzaubern“ werde, welche die „Arzt-Patient-Beziehung“ zum Mittelpunkt ihrer Kritik machte, denn diese würde die Machtverhältnisse und ökonomischen Strukturen nur verschleiern.

Ob die naturwissenschaftlich-technische Medizin die ärztliche Persönlichkeit gefährde, ob die Verdinglichung entgrenzte medizinische Praxis zur Folge habe oder ob die Medizin selbst Bestandteil einer (kapitalistischen) Ökonomie sei, sind medizinkritische Positionen, die einzeln wohl vertraut sind, aber in ihrer Interdiskursivität bis jetzt kaum systematisch untersucht worden sind.