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Christina Benninghaus

August Mayer - der ehemalige Chefarzt als Aktivist, Westdeutschland um 1955

Seit den 1930er Jahren wurden in den USA, seltener auch in Großbritannien, Schweden oder Belgien in Fällen von männlicher Unfruchtbarkeit Inseminationen mit Spendersamen durchgeführt. In der frühen Bundesrepublik war dieses Verfahren jedoch kaum zugänglich. Mitte der 1950er Jahre sollte es sogar unter Strafe gestellt werden. Schließlich erklärte der Bundesärztetag die Insemination mit Spendersamen für unvereinbar mit der ärztlichen Standesehre.

Diese scheinbar ubiquitäre Ablehnung der „Künstlichen Befruchtung“, wie die Insemination zeitgenössisch genannt wurde, war jedoch nicht selbstverständlich. Noch 1949 hatte die Frauenzeitschrift Constanze vermutet, dass das Verfahren Frauen mit Kinderwunsch schlechterdings nicht vorenthalten werden dürfe. Einige populäre Romane und Filme ließen es als riskanten, aber gangbaren Weg erscheinen.

Für Ärzte und Juristen wurde es in den 1950er Jahren jedoch scheinbar unmöglich, sich für dieses Verfahren einzusetzen oder über seine Anwendung zu berichten. Wie eine Auswertung von Tageszeitungen und von medizinischen und juristischen Publikationen zeigt, wurde die „künstlichen Befruchtung“ häufig mit nationalsozialistischen Menschenversuchen und mit negativen amerikanischen Einflüssen (Stichwort: Atombombe) in Verbindung gebracht und auf diese Weise desavouiert. Auch wurde sie 1949 vom Vatikan verboten.

Doch auch konservative Einstellungen bedürfen der diskursiven Bestätigung. Mit faszinierender Beharrlichkeit widmete sich der Tübinger Gynäkologe August Mayer nach seiner Entlassung als Direktor der Universitätsfrauenklinik dem Kampf gegen die „künstliche Befruchtung“. Ohne institutionelle Macht, aber weiterhin gut vernetzt, beschwor er in Vorträgen, Veröffentlichungen und Briefen Mediziner, Juristen, Theologen und Politiker, sich gegen die Insemination mit Spendersamen auszuspre-chen. Mayers umfangreicher Nachlass erlaubt es, Form und Inhalt dieses konservativen, misogynen Aktivivsmus zu rekonstruieren.