Die öffentliche Thematisierung von institutioneller Gewalt gegenüber Minderjährigen in den Nachkriegsjahrzehnten hat seit den 2010er-Jahren eine Vielzahl von Aufarbeitungsinitiativen angestoßen. Von Beginn an wurde die Debatte dabei von einem großen Engagement der Opfer und ihrer Verbände vorangetrieben.
Der Vortrag fragt vor diesem Hintergrund am Beispiel des Forschungsprojekts „Leid und Unrecht“ der bundesweiten Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ (2017-2021) nach der sich wandelnden Rolle von Betroffenen in der historischen Forschung zu Gewalt- und Unrechtserfahrungen. Während diese in der Forschung lange nur passiv als zu Befragende beteiligt wurden, wird der Schwerpunkt heute vielfach auf „partizipative“ Forschungsformate gelegt. Während die verstärkte Einbindung der Betroffenen einerseits neue Perspektiven eröffnet, stellt sich andererseits die Frage nach den jeweiligen Rollen und Zuständigkeiten von Wissenschaftlern und Co-Forschenden. Spätestens durch die Einführung der Datenschutz-Grundverordnung ist durch die Verschärfung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen die Befragung von Zeitzeug*innen zugleich erheblich erschwert worden. Eine Herausforderung für die Forschung bildet auch die vielfach zu beobachtende Doppelfunktion vieler Betroffener als Zeitzeug*innen einerseits und politische Aktivist*innen anderseits, die mit ihrer Agenda versuchen, ganz gezielt Einfluss auf politische, wissenschaftliche und mediale Akteure zu nehmen.