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Christoph Görlich

»Hunger nach Weltanschauung« – Ordnung, Sinnstiftung und Erweckung im Zeichen des Neuidealismus am Beispiel des Euckenbundes

»Hunger nach Weltanschauung«, unter diese Beschwörungsformel Wilhelm Windelbands von 1910 lässt sich eine breiter, bis in die frühen dreißiger Jahre andauernder akademischer wie außerakademischer Diskurs subsumieren, den bei aller Breite der disziplinären und beruflichen Herkünfte seiner Akteure (zwischen Philosophielehrstühlen und Ingenieursverbänden) ein Anliegen eint: die Erarbeitung einer wissenschaftlichen Weltanschauungslehre. Seine Grundlage fand dieser Diskurs in den späten, vom Neukantianismus abrückenden Ausformungen des Neuidealismus; den eigentlichen Schwerpunkt dieser Bewegung aber bildeten freidenkerische, philosophisch-naturwissenschaftlich ausgerichtete Bewegungen wie der Euckenbund. Das Verhältnis zur Frage eines intellektuellen Aktivismus ist dabei ambivalent: zum einen kann die Konjunktur der Weltanschauungslehren als Spätfolge eines großen öffentlichen (obrigkeitsstaatlichen) Drucks auf die Universitäten seit der Reichgründung betrachtet werden: um einem perzipierten ‚Sittenverfall‘ und gewissen als Anarchismus gedeuteten sowie auf einen sozialistischen sowie ‚materialistischen Geist‘ zurückgeführten aufrührerischen Tendenzen des jungen Kaiserreiches entgegenzuwirken, wurde insbesondere der Philosophie die Aufgabe umfassender sittlicher Weltanschauungslehre aufgetragen. Zugleich entwickelte sich dies innerhalb der Wissenschaften zu einem Bestreben, positivistischen Tendenzen und v.a. der Zersplitterung der Disziplinen durch eine ganzheitliche, zuweilen metaphysisch daherkommende Perspektive entgegenzuwirken. Zum einen gerierten sich die verschiedenen Bünde und Kreise somit als Erweckungsbewegungen, zum anderen war ihr Ansatz auffallend szientifisch und technizistisch, indem Sinnstuftung durch Systematisierung der Wissenschaften erlangt werden sollte. Es ist dieser Widerspruch und seine Implikationen für die Frage wissenschaftlicher Erweckungsbewegungen, den ich am Beispiel des sog. »Euckenbundes« nachgehen möchte.