Abklatsche–Papierabdrücke historischer Steininschriften–wurden in den europäischen Altertumswissenschaften des 19. Jahrhunderts zum zentralen Medium epigraphischer Arbeit. Anhand der Replika aus Papier entzifferte man Inschriften aus dem Altertum. Ihre systematische Herstellung wurden zum Evidenzstandard, der Authentizität und Korrektheit der Lesart von Inschriften bezeugte. Der Vortrag zeigt, wie Abklatsche nicht nur steinerne Quellen für europäische Philologien lesbar machten, sondern ihr Evidenzcharakter Inschriften auch für gesellschaftliche und geopolitische Projekte des 19. Jahrhunderts mobilisierte. Dies zeige ich anhand zweier ungleicher Abklatschhersteller:
Der österreichische Forschungsreisende Eduard Glaser stellte im heutigen Jemen Ende des 19. Jahrhunderts massenhaft Abklatsche altsüdarabischer Inschriften her. Er gilt als ein Begründer der europäischen Forschung zu Altensüdarabien, der Sabäistik. In diesem jungen und marginalen Fach bekleidete er nie eine akademische Position und war bei der Beschaffung der Mittel für seine Forschungsreisen davon abhängig, den Wert von Wissen über das alte Südarabien wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Akteuren anzupreisen. Er mobilisierte Abklatsche, um die Relevanz der Sabäistik für koloniale Geographien herauszustreichen, aber auch dafür, die Vision eines jüdischen Lebens jenseits des europäischen Antisemitismus zu formulieren.
Der jemenitisch-jüdische Kupferschmied Hayyim Habschusch war Informant europäischer Forschungsreisender im Jemen und stellte für sie Abklatsche her. Seine Schriften verdeutlichen, wie die Mobilisierung altsüdarabischer Inschriften durch europäische Forschungsreisende in den lokalen Kontexten der Abklatschproduktion eigene gesellschaftliche Bedeutungen entwickelte. Habschusch engagierte sich für eine jüdische Geschichtsschreibung und religiöse Reformbewegungen im Jemen, für die er die Zusammenarbeit mit europäischen Forschungsreisenden nutzte.