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Maike Rotzoll

Vom „Elend der herrschenden Psychiatrie“. Die Gesundheitstage und die Psychiatriekritik der 1980er Jahre

„Psychiatrie ist soziale Psychiatrie oder sie ist keine Psychiatrie. So ist der Begriff Sozialpsychiatrie nur als kritischer Begriff sinnvoll, als Protest…“. Diese Definition von Klaus Dörner und Ursula Plog von 1972 macht deutlich, dass Aktivismus als konstitutiver Bestandteil der Reformbewegung verstanden wurde. Konsequent verstand man soziale Psychiatrie als „empirische Wissenschaft, als therapeutische Praxis und als soziale Bewegung“. Auf den Tagungen der 1970 gegründeten Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie vernetzen sich jüngere Vertreter*innen der psychiatrischen Wissenschaft mit kritischen Akteuren anderer Gesundheitsberufe. Auf diese Erfahrung griffen die Initiator*innen der zwischen 1980 und 1987 veranstalteten Gesundheitstage explizit zurück. Fundamentale Psychiatriekritik war ein zentrales Thema der Ärztetage, beginnend mit dem unerwartet zu einem Großereignis mit etwa 10.000 Besucher*innen gewordenen Berliner Gesundheitstag, auf das „Elend der herrschenden Psychiatrie“ mit zahlreichen Einzelveranstaltungen im Programm stand. Die Gesundheitstage als Phänomen der Gesundheitsbewegung der 1980er Jahre mit vorübergehend erheblicher gesellschaftlicher Resonanz sind bislang von der wissenschaftshistorischen Forschung kaum thematisiert worden. Als exemplarisches Beispiel für diese spezielle Ausprägung der Verknüpfung von Wissenschaft und Aktivismus, von neuen Strategien, Medien und Akteuren soll die Psychiatriekritik der Gesundheitstage analysiert werden.